Zwischen Begeisterung, Verantwortung und Augenhöhe (Interview)

In einer Kooperation mit dem Theater Chemnitz realisierten dort die zwei Studierenden der TU Berlin Stella Brauer und Tabea Jorcke Bühnenbild und Kostüme für „Zwischen den Dingen sind wir sicher“. Im Interview berichten sie von ihren Erfahrungen von der Konzeption bis zur Premiere und geben Einblick in die größten Herausforderungen.

Durch eine Klappe im Wall erfolgt ein Auftritt in das Zuhause der Geschwister Sasha, Techno und Bandito.
Das zentrale Element des Bühnenbildentwurfs ist ein beweglicher Wall, der die Grenze zwischen Innenwelt und Außenwelt markiert.
Darsteller:innen aus dem Schauspielstudio spielen Bandito (Dana Koganova) und Techno (Luis Huayna), die ums Überleben kämpfen.

Franziska Ritter im Interview mit Stella Brauer und Tabea Jorcke 

Der Masterstudiengang Bühnenbild_Szenischer Raum der Technischen Universität Berlin ist bekannt für seine praxisnahe Lehre: Immer wieder werden Studierende im Rahmen von Ideenwettbewerben und Realisierungsprojekten gemeinsam mit externen Kooperationspartnern auf die komplexe Praxis als Szenograf:innen, Bühnen- und Kostümbildner:innen während des zweijährigen Studiums vorbereitet. So besteht mit dem Theater Chemnitz seit 2015 eine Kooperation, bei der jedes Jahr für die Spielzeiteröffnung des Schauspielstudios das Bühnen- und Kostümbild von ausgewählten Studierenden der TU Berlin realisiert werden. Auf diese Weise konnten in den vergangenen Jahren unter Leitung der Dozenten Frank Hänig und Norman Heinrich u. a. Produktionen wie „Das Maß der Dinge“ (2020), „Alice im Wunderland“ (2022) und „Prinzessinnendramen“ (2023) zur Premiere kommen. 

In diesem Jahr stand das postapokalyptische Drama „Zwischen den Dingen sind wir sicher“ der jungen Dramatikerin Laura Naumann im Chemnitzer Spinnbau/Ostflügel auf dem Spielplan (Regie: Ulrike Euen, Premiere 2. Oktober 2024). Das Stück erzählt die Geschichte der drei Geschwister Bandito, Techno und Sascha, die in einer dystopischen Zeit nach dem Verlust ihrer Eltern in einem selbstgebauten Schutzwall leben. Sie kämpfen ums Überleben in einer feindlichen Welt, während sie mit Konflikten innerhalb ihrer Familie und der Bedrohung durch „Uniformierte“, zu denen die Figur Rascasse gehört, konfrontiert sind. Das Stück thematisiert Geschwisterbeziehungen, Hoffnung und die Herausforderungen des Überlebens in einer zerstörten Gesellschaft.

Von Mai bis Juli 2024 wurden in einem studiengangsinternen Projektseminar unter Leitung des Dozenten Norman Heinrich und in enger Zusammenarbeit mit der Leiterin des Schauspielstudios Chemnitz Ulrike Euen von sechs Studierenden im 2. Semester verschiedene Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme konzipiert. Eine Jury  bestehend aus der Studiengangsbeauftragten Prof. Kerstin Laube, dem Dozenten und Vertreter:innen des Theaters, diskutierten am Ende des Semesters die vielfältigen Ideen. Für die anschließende Praxisphase und Realisierung wurden das Bühnenbild der Studentin Stella Brauer und das Kostümbild der Studentin Tabea Jorcke ausgewählt.

Stella Brauer: „Umgang mit meinen Bühnenbild bei den Proben war bereichernd“.
Tabea Jorcke: „Wurde so ernst genommen wie erfahrene Kostümbildner:innen“.

Franziska Ritter: Stella und Tabea, könntet ihr euch bitte zunächst kurz vorstellen?

Stella Brauer (SB): Sehr gern. Ursprünglich stamme ich aus Wien, für mein Bachelorstudium der Kunst- und Kulturwissenschaften hat es mich dann nach Maastricht gezogen. Davor und auch nebenbei habe ich bereits Erfahrungen im Schauspiel und Bühnenbild durch freie Theater- und Kurzfilmprojekte sammeln können. In Wien und Paris habe ich vor Beginn dieses Masterstudiums außerdem in einem Museum, einer Galerie, einem Zentrum für transdisziplinäre Kunst und zuletzt im Kulturforum in Paris gearbeitet.

Tabea Jorcke (TJ): Ich bin in Berlin aufgewachsen und habe dort auch meinen Bachelor in Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte gemacht. Nach einigen Hospitanzen und Assistenzen im Deutschen Theater Berlin, im Grips Theater und dem Uni.T der UdK Berlin, habe ich erste Erfahrungen als Bühnen- und Szenenbildnerin (u.a. für das „Queer Joy“ Festival 2024 und den Spielfilm „Kein Spiel“) gemacht. Parallel arbeitete ich durchweg im Theater- und Ausstellungsbereich, aktuell im KBB der Sophiensaele.

Naumanns Dramentext von 2016 ist aktueller denn je und sehr ergreifend. Welchen Zugang habt ihr zu diesem Werk gewählt und wie habt ihr die Themen konzeptionell in euren jeweiligen Entwürfen übersetzt?

TJ: Ich finde, der Dramentext von Laura Naumann liest sich verzweifelt, traurig, mit einem schiefen Lächeln und durchzogen von aktuellen Sorgen. Die Beschreibungen von Zwischenmenschlichkeit und von Jugendlichen, die zu schnell erwachsen werden mussten, fängt sie auf eine besondere Art und Weise ein, sodass die beschriebenen Themen beängstigend nah und zeitgemäß wirken. Beim Entwurf hat mich das Gefühl nicht losgelassen, dass auf der Bühne die emotionale Nähe zu den Figuren und den Geschehnissen dreifach unterstrichen, dass das Hier und Jetzt, das Zeitgenössische und das uns allen Bekannte dargestellt werden muss. Die Kostüme der Geschwister sollten sich daher nicht zu fern von aktueller Mode ansiedeln und trotzdem die Kreativität der Figuren im Umgang mit der Apokalypse zeigen. Ein immer wiederkehrendes Thema im Text ist außerdem der giftige Regen und daher lag Regenkleidung natürlich nah. Jedoch wollte ich den vermeintlichen Schutz dessen aufbrechen, indem sie aus transparenten Stoffen bestehen und die darunterliegenden Schichten sichtbar bleiben. 

SB: Im Text wird von einem Zuhause gesprochen, jedoch wurde mir schnell klar, dass es dieses nicht mehr gibt, zumindest nicht in physischer Form, sondern lediglich als Sehnsuchtsort. Das zentrale Element meines Entwurfs ist daher ein beweglicher Wall, der die Grenze zwischen der geschützten Innenwelt und der als bedrohlich wahrgenommenen Außenwelt markieren soll. Optisch ist diese Dualität durch die Kontrastierung des hellen Innenraums mit einer durch Witterung patinierten, patchworkartig montierten Außenseite gekennzeichnet. Der Wall ist ein Fragment, das mit der Familie über die Jahre gewachsen ist und als einzige Schutzhülle dient. Ein Altar mit Familienfotos sowie ein Klettergerüst symbolisieren die Erinnerung an eine unbeschwerte Vergangenheit und auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Bühnenbild spiegelt die Themen von Isolation, Illusion und Hoffnung inmitten von Verwüstung und Einsamkeit wider. Als dynamisches Bühnenelement ermöglicht der Wall es, verschiedene Spielorte wie ein Haus, eine Straße, einen Garten und einen Fluss zu definieren, indem die Schauspieler:innen ihn immer wieder verschieben und neu positionieren. 

Wie kann ich mir den Prozess der Gestaltung im Seminar vorstellen? Wie seid ihr vorgegangen?

SB: Das Seminar startete zu Beginn des Semesters – neben der allgemeinen Recherche zum Stück – mit einer Exkursion nach Chemnitz, um einen Eindruck des Theaters und des Bühnenraums vor Ort im Spinnbau zu bekommen, in dem das Theater zurzeit seine Interimsspielstätte hat (Anm. d. Red.: siehe BTR-Sonderband 2022). In wöchentlichen Feedback-Gesprächen mit unserem Mentor Norman Heinrich und mit der Regisseurin Ulrike Euen haben sich unsere Perspektiven auf den Text und die jeweilige Übersetzung in einen Bühnenraum-Entwurf und die Kostümideen für die vier Figuren kontinuierlich geschärft. 

TJ: Nach sechs Wochen Arbeit am Entwurf haben wir jeweils ein Modell und alle Unterlagen für die Endpräsentation so vorbereitet, dass sie gleich im Anschluss an die Werkstatt weitergeleitet werden können. Also zum Beispiel maßstabsgetreue technische Zeichnungen wie Grundriss und Schnitt der Bühne mit eingetragenen Verwandlungen, Einzelteilzeichnungen, eine Stückliste mit Beschreibungen aller Bauteile, Requisiten, Figurinen und eine Kostümliste.

Die Figurinen (Aquarell und Tinte) von Tabea Jorcke zeigen die transparenten Schutzschichten und die darunter liegenden Stoffe
Das Modell: Als dynamisches Bühnenelement, das verschoben werden kann, ermöglicht der Wall es, verschiedene Spielorte im Raum zu öffnen.
Grundriss Bühne
Bühnenbild Elemente

Und wie ging es dann weiter? Könnt ihr uns Einblick geben in den tatsächlichen Entstehungsprozess der Produktion? Wie habt ihr die Zusammenarbeit mit den Bühnengewerken vor Ort empfunden? 

SB: Nach der Abgabe meines Entwurfs ging es Anfang Juni direkt zur Bauprobe nach Chemnitz. Alles, was ich bisher im Modell (Maßstab 1:25) geplant hatte, wurde auf die Maße geprüft und ich bekam ein erstes Gefühl dafür, wie der fahrbare Wall als zentrales Bühnenelement tatsächlich im Raum funktioniert. Meine Hauptansprechperson vor Ort war die Produktionsleiterin Christiane Kleiber, mit ihr habe ich über die technischen Aspekte Rücksprache gehalten: Wie gestalten wir die Innenkonstruktion der Wand? Auf welche Maße legen wir uns nun genau fest? Welche Teile sind bereits vorhanden und welche Materialien müssen extra angeschafft werden? Sie war sozusagen das Bindeglied zwischen den Gewerken und mir. 

Da ich während der gesamtem Probenzeit ab Mitte August durchgehend anwesend war, bekam ich jede Regieanweisung mit und konnte verfolgen, wie der tägliche Umgang mit meinem Bühnenbild stattfand. Dieser Prozess war wichtig und bereichernd, da mein Bühnenbild mit dem Wall ja als dynamisches Element, sozusagen als Mitspieler konzipiert war und ich sehen konnte, wie die vier Schauspieler:innen sich damit vertraut machten. Nach Wochen auf der Probebühne, vielen Besuchen im Möbelfundus, Terminen in der Werkstatt sowie regelmäßigen Treffen mit der Requisite und dem Rüstmeister, wurde mein Bühnenbild auf der finalen Bühne, dem Ostflügel, eingerichtet. Ich war überwältigt, wie präzise alles zusammenkam, wie schnell letzte Änderungen trotz der großen Auslastung in den Werkstätten noch durchgeführt werden konnten und wie unterstützend jede Abteilung war. 

TJ: Mein erstes Zusammentreffen mit den Mitarbeitenden der Kostümwerkstatt war kurz nach der Bauprobe. Ich stellte mein Konzept der Werkstattleitung und den Gewandmeisterinnen vor und wir besprachen in Kürze einzelne Kostümteile. Es war das erste Mal für mich, dass eine künstlerische Arbeit nicht von mir selbst, sondern von einer ganzen Werkstatt umgesetzt wurde. Was mich besonders gefreut hat: In der Kostümwerkstatt hatte ich immer den Eindruck, ich werde genauso ernst genommen wie bereits viel erfahrenere Kostümbildner:innen. 

Nach einem Gang durch den Fundus war schnell klar, welche Kostümteile angeschafft werden müssen und welche wir wiederverwenden und bearbeiten können. Denn die Werkstattleiterin Mallika Manuwald legteviel Wert darauf, möglichst nachhaltig zu produzieren. Da für mich rückblickend auf andere Projekte der größte Feind der Nachhaltigkeit immer die zu knappe Zeit war, kam es mir sehr gelegen, in der sechswöchigen Spielzeitpause genügend Spielraum zu haben, um ausgiebig nach Kostümteilen in Secondhandläden zu suchen oder Fundusstücke bearbeiten zu lassen. 

Nach der Spielzeitpause Ende August ging die enge Zusammenarbeit mit der Werkstatt los und wieder erfreuten mich die Absprachen auf Augenhöhe mit allen Mitarbeitenden. Am meisten in Erinnerung werden mir wahrscheinlich die ständigen Wege zwischen der Probebühne und der Werkstatt bleiben: Dieses „Hin- und Hergerenne“, die kurzfristigen Wünsche am Kostüm oder Bedürfnisse der Schauspielenden beim Proben, Änderungen in Spielabläufen und deren Auswirkungen auf verschiedenste Gewerke – das ist für mich Theaterarbeit und das habe ich im Theater Chemnitz wahnsinnig genossen.

Rascasse (Hubert Chojniak ) legt im Laufe der Inszenierung seine Schutzschichten ab, zuletzt wischt er seinen blauen Schnabelabdruck ab
Bandito zeigt mit angenähten Bauchtaschen und PET-Abzeichen ihren kreativen und spielerischen Umgang mit der Situation.

Gab es Herausforderungen bei der Umsetzung, die euch besonders im Gedächtnis geblieben sind?

TJ: Ein großes Thema bis kurz vor der Premiere war der Helm für die Figur Rascasse – den immerwährend Patrouillierenden, den beobachtenden vermeintlichen Feind. Der Helm war das erste Kostümteil, das ich für die Inszenierung plante und es blieb bis zum Ende dem Konzept erhalten. Für den Wächter Rascasse entwickelte ich einen Helm, der sowohl schlicht und militärisch sein sollte als auch beängstigend und theatral. Als Basis dient ein Feuerwehrhelm, an dem eine Verlängerung in der Form des Schnabels einer Harpyie angebracht werden sollte. Herausfordernd war dabei, die einzelnen Arbeitsschritte der verschiedensten Gewerke zu koordinieren. Denn für die Erstellung des Helms nutzen wir sowohl 3D-gedruckte als auch von mir handgenähte Teile. Mit dem Rüstmeister Georg Schultheiß arbeitete ich bis zuletzt gemeinsam an einer detaillierten Umsetzung. Dabei spielten nicht nur die Form des Schnabels und dessen Befestigung eine große Rolle, sondern auch das erlaubte Gewicht und die regelrechte Unzerstörbarkeit eines Feuerwehrhelms (wer hätte es gedacht).

SB: Für mich war es vor allem der Raum, der einiges an Herausforderung darstellte. Die Bühne befindet sich in einer alten Spinnereimaschinenfabrik und ist keine herkömmliche Theaterbühne: Zwei Säulen mit den Maßen von 1 m x 0,75 m befinden sich in der Mitte der Bühne und mussten in den Entwurf eingeplant werden. Auch die für Theaterräume untypisch niedrige Decke mit einer Nutzhöhe von gerade einmal 2,9 m musste berücksichtigt werden und schränkte auf den ersten Blick ein.

Trotzdem wurden diese Umstände zu einer spannenden Aufgabe und haben mich dazu gebracht, eine kreative Antwort zu finden. Vor allem bei der Werkstattabgabe habe ich gemerkt, wie präzise gegenüber den Werkstätten kommuniziert und wie schnell klare Entscheidungen getroffen werden müssen – und das aus reiner Vorstellungskraft heraus. Viel lernen konnte ich außerdem bei den Lichtproben mit dem Technikteam: Wie Stimmungen erzeugt werden, wie man nach Bedarf richtig ausleuchtet, wie Übergänge gestaltet werden.

Last, but not least: Wie war die Premiere für euch?

SB: Für mich war die Premiere aufregend, weil wir nach wochenlangen Proben ohne Publikum plötzlich das, woran wir so intensiv gearbeitet haben, zeigen konnten. Es war fast absurd, den vollen Zuschauerraum zu sehen und besonders interessant zu hören, was die Besucher:innen davon mitnehmen konnten. Alles war überwältigend, es setzte Erleichterung und  Freude ein, das Ergebnis nun zu sehen und zu feiern und auch ein wenig Sentimentalität, dass es für uns jetzt vorbei ist. 

TJ: Da hast du mir aus der Seele gesprochen: Es war beeindruckend und emotional. Ich war an dem Abend – und bin es immer noch – unglaublich stolz auf unsere Arbeit und das ganze Team.

SB und TJ: Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit und das Vertrauen in uns Studierende von Seiten des Theaters und der Universität. Wie schön, dass wir hier unsere Erfahrungen teilen durften und spätestens nach unserem Abschluss im kommenden Sommer noch viele mehr in den Theatern dieser Welt sammeln können.

Franziska Ritter ist Szenografin, forscht zu Theaterarchitektur und im/materiellem Kulturerbe, lehrt dazu auch an verschiedenen Hochschulen und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Studiengang Bühnenbild_Szenischer Raum der TU Berlin. Zurzeit promoviert sie über die Theaterbausammlung der TU Berlin im DFG-Projekt „Theaterbauwissen“.

Theater Chemnitz: „Zwischen den Dingen sind wir sicher“ 

Regie: Ulrike Euen
Bühne: Stella Brauer 
Kostüme: Tabea Jorcke 
Mentor: Norman Heinrich
Dramaturgie: Agnieszka Jabłonska

Schauspieler:innen:
Sascha: Kevin Bianco **
Techno: Luis Huayna ***
Bandito: Dana Koganova **
Rascasse: Hubert Chojniak **

** Student:innen der „Anton Bruckner“ Privatuniversität Linz
*** Student der Filmuniversität „Konrad Wolf“ Babelsberg